Ein goldener Oktobertag in Danzig

Herz­lich be­dankte sich die alte Frau bei mir, die ein­ge­mum­melt in der Kälte saß. Ihr hel­les, fal­ti­ges Ge­sicht war von dem ei­si­gen Wind ro­sig ge­färbt. Ich schenkte ihr ei­nige Zlo­tys, denn ihr An­blick machte mich trau­rig. Zwi­schen den Rei­chen die­ser Welt, die ohne Ach­tung und Blick an ihr vor­bei­lau­fen, ver­kaufte sie ihre selbst­ge­bun­de­nen Blüm­chen. Sie er­zählte mir von ih­rer Katze, der sie von die­sen paar Geld­stü­cken Fut­ter kau­fen würde. Sie er­zählte mir von ih­rer nied­ri­gen Rente, die der Grund da­für wäre, dass sie hier Tag für Tag auf ih­rem Ho­cker sit­zen muss. Sie er­zählte mir da­von, wie sie am heu­ti­gen Mor­gen Kohle zum Hei­zen aus dem Kel­ler holte und wie sehr sie mich um mein Le­ben be­nei­dete. Wenn sie könnte, hätte sie schon längst die­ses gol­dene Dan­zig ver­las­sen. Ihre freund­li­che, lie­bens­werte Art und ihre Dank­bar­keit strahl­ten aus ih­ren Au­gen. Diese schöne, alte Frau lä­chelte mich noch ein Mal lie­be­voll an, be­vor wir uns ver­ab­schie­de­ten. Ich musste an meine Omi den­ken. Wir schlen­der­ten wei­ter, vor­bei an den prunk­vol­len Häu­sern mit ih­ren tau­send­jäh­ri­gen Mau­ern, durch­quer­ten herr­li­che Tore, schau­ten neu­gie­rig hin­ter die Fas­sa­den. Dort ver­steckte sich die Ar­mut, der Dreck und der Ge­stank der al­ten Dan­zi­ger Gas­sen. In bau­fäl­li­gen Häu­sern mit feh­len­den Trep­pen und ka­put­ten Fens­tern woh­nen die stol­zen Dan­zi­ger, die einst um ihre Stadt ge­kämpft hat­ten. Nun sit­zen sie mit ih­ren bun­ten Sträus­sen an den Reich­tü­mern der Stadt und bit­ten be­schämt um Hilfe. Die gol­dene Sonne der letz­ten Ok­to­ber­tage glänzte über den Dä­chern und legte ih­ren Schat­ten in die Hin­ter­höfe. Die Welt hat sie ver­ges­sen.

Woran man einen echten Gärtner erkennt

»Jetzt will ich noch ver­ra­ten, woran man ei­nen wirk­li­chen Gärt­ner er­kennt. »Sie müs­sen mich be­su­chen«, sagt er, »ich muß Ih­nen mei­nen Gar­ten zei­gen.« Kommt man also hin, um ihm Freude zu ma­chen, so fin­det man sein Hin­ter­teil ir­gendwo zwi­schen den Pe­ren­nen em­por­ra­gen. »Ich komme gleich«, sagt er über die Schul­ter hin­weg, »ich setze nur das hier um.« »Las­sen Sie sich nicht stö­ren«, er­wi­dert man ihm freund­lich. Nach ei­ni­ger Zeit ist das Zeug wahr­schein­lich schon um­ge­setzt; kurzum, er er­hebt sich, macht ei­nem die Hand schmut­zig und sagt, vor Gast­freund­schaft strah­lend: »Also kom­men Sie, schauen Sie sich ihn an; es ist zwar nur ein klei­ner Gar­ten, aber – ei­nen Au­gen­blick«, sagt er und bückt sich zu ei­nem Beet nie­der, um ei­nige Grä­ser aus­zu­jä­ten. »Also kom­men Sie. Ich zeige Ih­nen eine Di­an­thus Musa­lae, da wer­den Sie Au­gen ma­chen. Herr­gott, hier habe ich ver­ges­sen auf­zu­lo­ckern«, sagt er und be­ginnt in der Erde her­um­zu­sto­chern. Nach ei­ner Vier­tel­stunde rich­tet er sich wie­der auf und meint: »Rich­tig, ich wollte Ih­nen ja die Glo­cken­blume, Cam­pa­nula Wil­so­nae zei­gen. Das ist die schönste Glo­cken­blume, die – war­ten Sie, ich muß den Rit­ter­sporn da an­bin­den.« So­bald er ihn an­ge­bun­den hat, er­in­nert er sich: »Ach ja, Sie woll­ten den Rei­her­schna­bel se­hen. Ei­nen Au­gen­blick«, brummt er, »ich will nur diese As­ter hier um­set­zen; sie hat zu we­nig Platz.« Wor­auf man auf den Fuß­spit­zen da­von­schleicht und das Hin­ter­teil des Gärt­ners zwi­schen den Pe­ren­nen em­por­ra­gen läßt

Und so­bald er ei­nem wie­der be­geg­net, sagt er: »Sie müs­sen mich be­su­chen kom­men; bei mir blüht eine Rose, so et­was ha­ben Sie noch nicht ge­se­hen. Also Sie kom­men? Aber be­stimmt.«

Nun gut: be­su­chen wir ihn, um zu se­hen, wie das Jahr ver­geht.«

Ka­rel Capek, Das Jahr des Gärt­ners

Die Nacht des Vollmondes

Der Mond schaute durch die kah­len Äste in den Wald hin­ein. Er dehnte sich zu sei­ner vol­len Größe aus. Sein Licht be­glei­tete in die­ser Nacht den ein­sa­men Wan­de­rer. Die Schat­ten der Dun­kel­heit zo­gen sich in die tiefs­ten Win­kel der Bäume zu­rück, denn sie wuss­ten, dass sie heute ver­bor­gen blei­ben wür­den. Der Weg durch die Nacht war frei.