Zeit für Pilze

Alle Pilz­samm­ler wis­sen, dass ge­nau jetzt die Zeit ge­kom­men ist, um in den Wald zu ge­hen, denn die Pilze schie­ßen aus dem Wald­bo­denn und das Wet­ter ist per­fekt. Auch wir ha­ben uns auf die Su­che ge­macht. Es dau­erte nicht lange, da fan­den wir jede Menge schö­ner Ma­ro­nen und Stein­pilze. Mit Lei­den­schaft su­che ich in den ge­heim­nis­vol­len Tie­fen des Wal­des nach Pil­zen. Man muss be­son­ders lang­sam ge­hen und den Wald­bo­den ganz ge­nau be­ob­ach­ten. Al­les um mich herum wird still. Nur ab und zu knackst plötz­lich ein Ast und ich schaue schnell auf und frage mich, ob uns ein an­de­rer Pilz­samm­ler auf den Fer­sen ist. Er darf näm­lich nicht zu nahe kom­men.

Schon ganz früh nahm mich mein Va­ter zum Pil­ze­sam­meln mit und brachte mir bei, die ess­ba­ren Ar­ten zu er­ken­nen. Je­den Sonn­tag in der Pilz­sai­son hat er mich bei Wind und Wet­ter ge­gen 5.00 Uhr mor­gens ge­weckt. Wir muss­ten so früh wie mög­lich ge­hen, um noch vor den An­de­ren da zu sein. Er nahm ein Korb, zwei Äp­fel, Stul­len, Trin­ken, Mes­ser und, ganz wich­tig, Toi­let­ten­pa­pier mit. Dann mar­schier­ten wir noch im Dun­keln los. Un­ser Glück war, dass wir da­mals di­rekt am Wald wohn­ten. Doch um an die Pilz­stel­len zu ge­lan­gen, muss­ten wir trotz­dem ca. 30 Mi­nu­ten wan­dern. Als wir im Wald an­ka­men, wurde es nur lang­sam hell. Der Wald­bo­den war feucht und im Mor­gen­grauen konnte man noch nicht viel er­ken­nen. Mein Va­ter war meist der erste, der ei­nen ess­ba­ren Pilz fand und machte sich lie­be­voll lus­tig, wenn ich an ein paar gu­ten Pracht­ex­em­pla­ren vor­bei ging. Ge­le­gent­lich be­glei­tete uns ein Freund mei­nes Va­ters und seine Toch­ter, die eine sehr gute Freun­din von mir war. Zu­sam­men im Wald zu sein, war für mich wun­der­bar, denn wir hat­ten im­mer viel Freude da­bei. Der Ge­ruch des Wal­des, die Stille und die wun­der­schö­nen Pilze, die man fin­det, weck­ten in mir eine große Lei­den­schaft für das Pil­ze­sam­meln. Wie schön, dass un­sere Körbe auch in die­sem Herbst wie­der reich­lich ge­füllt sind.

Sprich zu uns über das Alleinsein

»Wenn du nicht al­lein sein kannst, wird die Liebe nicht lange an dei­ner Seite ver­wei­len. Denn auch die Liebe braucht Ru­he­zei­ten, da­mit sie durch den Him­mel rei­sen und sich auf an­dere Weise of­fen­ba­ren kann. Keine Pflanze und kein Tier über­lebt, wenn sie nie al­lein ge­las­sen wer­den. Auch das Feld muss hin und wie­der al­lein ge­las­sen wer­den, da­mit es frucht­bar bleibt. Kein Kind wird et­was über das Le­ben ler­nen, keine Ar­beit sich ent­wi­ckeln und ver­än­dern kön­nen, wenn ih­nen Al­lein­sein ver­wehrt wird.

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Al­lein­sein be­deu­tet nicht die Ab­we­sen­heit von Liebe, son­dern de­ren Er­gän­zung. Al­lein­sein heißt nicht, dass man ohne Be­glei­tung ist, son­dern es meint den Au­gen­blick, in dem un­sere Seele zu uns spre­chen und uns hel­fen kann, Ent­schei­dun­gen für un­ser Le­ben zu tref­fen. Da­her sind die­je­ni­gen ge­seg­net, die gut mit sich selbst al­lein sein kön­nen und die sich nicht vol­ler Angst in Ar­beit ver­gra­ben oder mit Zer­streu­ung ab­zu­len­ken ver­su­chen. Denn wer nie­mals al­lein ist, kennt sich selbst nicht. Und wer sich selbst nicht kennt, fürch­tet die Leere. Doch diese Leere gibt es nicht. Eine un­ge­heuer große Welt ver­birgt sich in un­se­rer Seele und war­tet dar­auf, ent­deckt zu wer­den. Siest da mit ih­rer gan­zen un­ver­brauch­ten Kraft, doch sie ist so neu und so mäch­tig, dass wir uns nicht ein­ge­ste­hen wol­len, dass es sie gibt. (…)

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Und die­je­ni­gen, die sich vor dem Al­lein­sein nicht fürch­ten, er­war­tet ein neues Le­bens­ge­fühl. In der Ab­ge­schie­den­heit wer­den sie der Liebe ge­wahr wer­den, die manch­mal un­be­merkt kommt. In der Ab­ge­schie­den­heit wer­den sie die Liebe, die ge­gan­gen ist, be­grei­fen und ach­ten. In der Ab­ge­schie­den­heit wer­den sie ler­nen, dass Nein­sa­gen nicht im­mer ein Man­gel an Groß­zü­gig­keit und dass Ja­sa­gen nicht im­mer eine Tu­gend ist. (…)

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Und jene, die das Al­lein­sein be­drückt, soll­ten sich in Er­in­ne­rung ru­fen, dass wir in den ent­schei­den­den Au­gen­bli­cken des Le­bens im­mer al­lein sind. Wie das Kind, wenn es aus dem Leib der Mut­ter kommt. Egal, wie viele Men­schen bei sei­ner Ge­burt zu­ge­gen sind, letzt­lich ent­schei­det es al­lein, ob es le­ben will. Wie der Künst­ler, der al­lein sein und den Stim­men der En­gel lau­schen muss, da­mit seine Ar­beit wirk­lich gut wird. Wie wir, wenn wir der­einst im wich­tigs­ten und meist­ge­fürch­te­ten Au­gen­blick un­se­res Le­bens al­lein sein wer­den — im An­ge­sicht des von uns un­ge­lieb­ten To­des. So wie die Liebe zu Gott ge­hört, ge­hört das Al­lein­sein zum Men­schen. Und beide be­stehen für jene ein­träch­tig ne­ben­ein­an­der, die das Wun­der des Le­bens be­grei­fen.«

Paulo Co­elho — Die Schrif­ten von Ac­cra

Anemonen

Sie sprie­ßen licht aus Wal­des­nacht,
Ohne rei­chen Duft, ohne Far­ben­pracht,
Un­ter den gro­ßen, al­ten Bäu­men,
Über das Moos wie flu­tend Träu­men:
Wann der Wind vor­über streicht,
Nei­gen sie ihre Köpf­chen leicht,
Aber wo die Sonne licht
Durch die Blät­ter­kro­nen bricht,
Sau­gen sie all das gol­dige Schei­nen
Sehn­suchts­voll in den Kelch, den klei­nen.
So blü­hen sie scheu, ohne Glanz und Pracht:
Die lich­ten Kin­der der Wal­des­nacht.

The­rese Dahn