Aufruf zu mehr Freundlichkeit

Ich denke, wir soll­ten drin­gend dar­über nach­den­ken, wie wir mit­ein­an­der um­ge­hen. Denn schon lange fällt mir auf, dass viele Men­schen die Wert­schät­zung ge­gen­über dem An­de­ren ver­lo­ren ha­ben. Das be­ob­achte ich auf der Straße, an der Kasse oder im Kino. Ganz be­son­ders aber dann, wenn un­zu­frie­dene Mit­bür­ger ihre miese Laune ver­brei­ten und um je­den Preis und ohne nach­zu­den­ken ihr Recht durch­set­zen wol­len. Worte wie: »Kann ich ih­nen be­hilf­lich sein?«, »Geht es Ih­nen gut?«, »Du siehst heute ganz toll aus!«, »Danke«, »Bitte« oder »Ent­schlu­di­gung« sind für sie Fremd­wör­ter. Et­was Gu­tes für an­dere zu tun, würde ih­nen gar nicht in den Sinn kom­men. Ihre Tage be­gin­nen und en­den mit For­de­run­gen, Vor­wür­fen und Groll. Kon­kur­renz, Macht und Wich­tig­tue­rei ha­ben das Gute im Men­schen ver­drängt. Was heute zählt, sind Su­per­la­tive: Wer ist der Erste, der Beste, der Schnellste oder der Schönste?! Al­les nur zum ei­ge­nen Vor­teil. Das merke ich im klei­nen Kreis, man kann es auch auf der gan­zen Welt be­ob­ach­ten, über­all ver­brei­tet sich maß­lose Rück­sicht­lo­sig­keit. Und dann be­krie­gen sie sich. Auf dem Park­platz, vor dem Ge­richt oder auf dem Schlacht­feld. In­nere Werte sind ver­schüt­tet und der rück­sichts­volle Um­gang mit­ein­an­der ver­küm­mert im­mer mehr.

Warum er­ken­nen diese Men­schen nicht, dass es ih­nen und uns al­len scha­det? Sind wir uns so we­nig wert? Da­bei ist es doch so ein­fach um­zu­keh­ren. Gehe ich mit ei­nem Lä­cheln durch die Welt, komme ich gut ge­launt zur Ar­beit, be­gegne ich auf der Straße of­fen­her­zig mei­nen Mit­men­schen, lä­cheln sie plötz­lich zu­rück und ein po­si­ti­ves Ge­fühl ver­brei­tet sich. Da­bei ge­nügt ein lie­bes Wort, ein klei­nes Lä­cheln oder eine nette Geste, die von ei­nem zum an­de­ren wei­ter ge­ge­ben wird und so eine Ket­ten­re­ak­tion aus­löst. Wer Freund­lich­keit schenkt, be­kommt sie auch zu­rück. Es ist groß­ar­tig. Es ist so ein­fach!

Im­mer wie­der treffe ich auf liebe Men­schen, die höf­lich und zu­vor­kom­mend sind. Sie zei­gen Mit­ge­fühl, hö­ren zu, er­zäh­len von in­ter­es­san­ten Din­gen und wir tau­schen Ge­dan­ken über die Welt und das Le­ben aus. Es ist wun­der­bar, mit ih­nen zu­sam­men zu sein. Wir freuen uns über die klei­nen Dinge und die Zeit, die wir ge­mein­sam ver­brin­gen. Diese Mo­mente ma­chen das Le­ben doch erst le­bens­wert und könn­ten gern eine Ewig­keit dau­ern.

Des­halb schlage ich vor, wir ver­ab­re­den uns zu ei­ner Wo­che der Freund­lich­keit. Wir star­ten ein­fach ei­nen Ver­such und pro­bie­ren es. Und wenn es schwie­ri­ger wird, weil der an­dere nicht wie er­hofft re­agiert, blei­ben wir trotz­dem stark, er­in­nern uns und hal­ten an un­se­rem Vor­ha­ben fest, näm­lich ru­hig und freund­lich zu blei­ben, der Welt und den Men­schen mit ei­nem Lä­cheln, ei­ner net­ten Geste oder ei­nem lie­ben Wort zu be­geg­nen. Ich möchte gerne wis­sen, was dann pas­siert. Wird al­les leich­ter und schö­ner? Wie re­agie­ren eure Mit­men­schen? Hat sich et­was ver­än­dert?

Ein goldener Oktobertag in Danzig

Herz­lich be­dankte sich die alte Frau bei mir, die ein­ge­mum­melt in der Kälte saß. Ihr hel­les, fal­ti­ges Ge­sicht war von dem ei­si­gen Wind ro­sig ge­färbt. Ich schenkte ihr ei­nige Zlo­tys, denn ihr An­blick machte mich trau­rig. Zwi­schen den Rei­chen die­ser Welt, die ohne Ach­tung und Blick an ihr vor­bei­lau­fen, ver­kaufte sie ihre selbst­ge­bun­de­nen Blüm­chen. Sie er­zählte mir von ih­rer Katze, der sie von die­sen paar Geld­stü­cken Fut­ter kau­fen würde. Sie er­zählte mir von ih­rer nied­ri­gen Rente, die der Grund da­für wäre, dass sie hier Tag für Tag auf ih­rem Ho­cker sit­zen muss. Sie er­zählte mir da­von, wie sie am heu­ti­gen Mor­gen Kohle zum Hei­zen aus dem Kel­ler holte und wie sehr sie mich um mein Le­ben be­nei­dete. Wenn sie könnte, hätte sie schon längst die­ses gol­dene Dan­zig ver­las­sen. Ihre freund­li­che, lie­bens­werte Art und ihre Dank­bar­keit strahl­ten aus ih­ren Au­gen. Diese schöne, alte Frau lä­chelte mich noch ein Mal lie­be­voll an, be­vor wir uns ver­ab­schie­de­ten. Ich musste an meine Omi den­ken. Wir schlen­der­ten wei­ter, vor­bei an den prunk­vol­len Häu­sern mit ih­ren tau­send­jäh­ri­gen Mau­ern, durch­quer­ten herr­li­che Tore, schau­ten neu­gie­rig hin­ter die Fas­sa­den. Dort ver­steckte sich die Ar­mut, der Dreck und der Ge­stank der al­ten Dan­zi­ger Gas­sen. In bau­fäl­li­gen Häu­sern mit feh­len­den Trep­pen und ka­put­ten Fens­tern woh­nen die stol­zen Dan­zi­ger, die einst um ihre Stadt ge­kämpft hat­ten. Nun sit­zen sie mit ih­ren bun­ten Sträus­sen an den Reich­tü­mern der Stadt und bit­ten be­schämt um Hilfe. Die gol­dene Sonne der letz­ten Ok­to­ber­tage glänzte über den Dä­chern und legte ih­ren Schat­ten in die Hin­ter­höfe. Die Welt hat sie ver­ges­sen.

Alles auf Anfang

 

Nun er­obert die Stille un­sere tie­fen Wäl­der und die wei­ten Fel­der. Nur das leise Zir­pen der klei­nen Mei­sen hört man hier und dort. Noch Vor­ges­tern be­deckte der Schnee die Erde, ges­tern wehte der Sturm über un­sere Dä­cher und heute scheint end­lich wie­der die Sonne. Al­les hat sich be­ru­higt. Auch die letz­ten Echos des Sil­ves­ter­feu­er­werks sind ver­stummt und ich ver­su­che diese Ruhe auf­zu­neh­men. Die dunk­len Schat­ten ver­krie­chen sich nun lang­sam zu­rück in ihre Ecken und die Hel­lig­keit er­obert Stück für Stück un­sere Ge­mü­ter. Wir ha­ben es wie­der ge­schafft! Die Win­ter­son­nen­wende liegt hin­ter uns und die Tage wer­den end­lich wie­der län­ger. Meine Be­we­gun­gen sind zwar noch lang­sam, doch die ers­ten Son­ne­st­rah­len des neuen Jah­res ge­ben mir Kraft. Der Wind bringt wie­der die­sen ver­trau­ten Ge­ruch mit sich und ich höre das Rau­schen der Wel­len. In mir er­wacht die Sehn­sucht nach dem un­be­schwer­ten Sein. Ich möchte mit dem Wind und den Wel­len rei­sen und die Welt er­obern. Von Strand zu Strand, von Ufer zu Ufer möchte ich zie­hen und das Un­be­kannte er­kun­den.

Farben, Licht und Formen

 

Gol­dig ver­ab­schie­dete sich der Ok­to­ber. Wäh­rend wir noch im Gar­ten hoch­kon­zen­triert ar­bei­te­ten, be­rührte er uns mit sei­nen war­men Son­nen­strah­len, als ob er sa­gen wollte: »Schau, wie schön ich bin«. Wir merk­ten die­sen klei­nen Wink und un­ter­bra­chen un­sere Gar­ten­ar­beit. Die Harke stell­ten wir an die Seite und tausch­ten sie ge­gen den Fo­to­ap­pa­rat. Wir woll­ten die schö­nen Far­ben und For­men des Herbs­tes fest­hal­ten. Das schöne Licht und die vie­len Farb­tup­fer am Him­mel ver­zau­ber­ten uns. Die Wol­ken bil­de­ten un­glaub­li­che kos­mi­sche For­men. Der wun­der­volle Über­gang vom Tag in die Nacht er­strahlte in un­zäh­li­gen Far­ben: von gelb und orange bis zu rosa, lila und  dun­kel­blau. So­gar die ver­welk­ten Pflan­zen nah­men eine ganz be­son­dere Ge­stalt an. Al­les um uns herum schien so klar und zum Grei­fen nah.

Wir stan­den vor den drei Ei­chen, de­ren mächtge Kro­nen in die­sem Licht ei­nen mys­ti­schen Zau­ber ver­brei­te­ten. Plötz­lich flog völ­lig ge­räusch­los eine Eule aus ei­ner Baum­krone und be­gann ihre Su­che nach le­cke­rer Beute. Fas­zi­niert von die­ser Be­geg­nung blie­ben wir eine Weile still ste­hen und hör­ten ihre Rufe be­vor sie ganz in der Däm­me­rung ver­schwand. Die Nacht brach an und über un­se­ren Köp­fen fin­gen die Sterne an zu fun­keln. Der Mond knippste sein Licht an und leuch­tet ih­nen den Weg. Uns wurde es kalt und der Wind wehte uns nach Hause.

Einmal Berlin und zurück

 

Am letz­ten Wo­chen­ende wa­ren wir in Ber­lin. In nur sechs Stun­den er­leb­ten wir ziem­lich viel. Ich schätze, so viel wie sonst an sechs Wo­chen­en­den: wir wa­ren auf ei­ner Demo, wir ha­ben ei­nige Freunde ge­trof­fen, wir sind vom Lehr­ter Bahn­hof bis zum Ro­ten Platz ge­lau­fen und zu­rück. Dann nahm ich im Tier­gar­ten an ei­nem 10-km-Frau­en­lauf mit über 18.000 Läu­fe­rin­nen teil. Das muss man sich erst­mal vor­stel­len: 18.000 Men­schen, das sind drei Mal so viele, wie in der Stadt, in der ich ar­beite.

Mein letz­ter Ber­lin­be­such ist fast zwei Jahre her. Selt­sam, dass ich mir so viel Zeit da­mit ge­las­sen habe. Denn als ich vor un­ge­fähr vier Jah­ren Ber­lin ver­ließ, tat ich es mit ei­nem wei­nen­den Her­zen und wollte so oft wie mög­lich zu­rück­keh­ren. Ich war mir si­cher, dass diese große Stadt für Ewig­kei­ten der ein­zige Fleck auf die­ser Erde blei­ben würde, an dem ich mich wohl fühle. Als ich ei­nige Jahre zu­vor Ber­lin zog, wurde diese Stdt auf An­hieb zu mei­ner neuen Hei­mat und der ein­zige Ort an dem ich mich ver­stan­den fühlte. End­lich hatte ich ei­nen Platz ge­fun­den, der mir das zeigte, was ich seit Jahr­zehn­ten in mir trug: Os­ten und Wes­ten in ei­nem. Diese Stadt spie­gelte mein In­ne­res wie­der. Bei den aus­gie­bi­gen Spa­zier­gän­gen ent­lang der Spree, auf den neuen und al­ten Stra­ßen, vor­bei an den gro­ßen Ge­bäu­den konnte ich es se­hen, rie­chen und spü­ren. Die Er­in­ne­run­gen aus mei­ner Kind­heit ka­men zum ers­ten Mal zu­rück: kalte Win­ter, Was­ser, Tou­ris­ten, Plat­ten­bau­ten, Stra­ßen­bah­nen, Kul­tur, Ge­schichte und Thea­ter. Nur die Ost­see fehlte mir. Und ob­wohl ich im­mer noch nicht wusste, wo meine Wur­zeln la­gen, gab mir Ber­lin ein Ge­fühl von Hei­mat. Hier konnte ich so sein wie ich bin, nie­mand fragte nach mei­ner Her­kunft, Vor­ur­teile wa­ren tabu, ich hatte das Ge­fühl, end­lich frei zu sein. Zu­nächst machte es mir nichts aus, zen­tral, zwi­schen Mil­lio­nen von Men­schen, Tau­sen­den von Au­tos und Hun­der­ten von Häu­sern zu woh­nen. Die vie­len Mög­lich­kei­ten be­geis­ter­ten mich und ich wollte es er­le­ben, es mit­neh­men und da­bei sein. Die An­ony­mi­tät und die Un­ab­hän­gig­keit ge­noss ich sehr, aber es gab es kaum je­man­den, dem ich ver­trauen oder auf den ich mich ver­las­sen konnte. Schon bald merkte ich, dass mir et­was fehlte, aber ich wusste nicht was. Ich hatte al­les und ir­gend­wie doch nichts. Ich fühlte mich ein­sam in die­sem Chaos und plötz­lich kam die Sehn­sucht nach Stille und Na­tur. Ich dachte ein Um­zug in die Vor­stadt wäre eine Lö­sung. Ich zog also in eine 1-Zim­mer-Woh­nung, et­was Ab­seits vom Ge­sche­hen in ei­ner ru­hi­gen Gasse. Hier be­suchte mich sel­te­ner je­mand, hier brauchte ich län­ger zum Zen­trum. Doch mir fehlte im­mer noch et­was. Ich dachte an meine al­ten Freunde, an meine Fa­mi­lie und an ei­nen bes­ser be­zahl­ten Job. Sollte ich doch in den Wes­ten zu­rück ge­hen? Ich wusste ein­fach nicht, wo­hin mit mir. Ob­wohl es schmerzte, ent­schied ich mich Ber­lin zu ver­las­sen. Und wie­der ein Um­zug. Es wa­ren in­zwi­schen so viele, dass ich sie noch nicht ein­mal an vier Hän­den ab­zäh­len konnte. Ein wei­te­rer Ver­such, mein in­ne­res Gleich­ge­wicht zu fin­den. Freunde, Kol­le­gen, Be­kannte und Un­be­kannte pro­phe­zei­ten mir: »Du kommst wie­der«. Ich kam mir vor, wie ei­nem rie­si­gen La­by­rinth. Doch auch der Wes­ten machte mich nicht viel glück­li­cher. Die Ein­bil­dung, dass al­les wie­der so sein würde wie frü­her, stellte sich als falsch her­aus. Ich habe mich ver­än­dert, meine al­ten Freunde wa­ren plötz­lich weg und der bes­ser be­zahlte Job wurde zum Hor­ror. Meine Fa­mi­lie war da, das war schön! Ich be­gann je­doch zu be­grei­fen, dass mir die Wur­zeln fehl­ten. Ich kannte den Wes­ten und ich kannte Ber­lin. Tief ver­gra­ben in Er­in­ne­run­gen und in ei­ner Sehn­sucht nach Ge­bor­gen­heit, trug ich den Os­ten in mei­nem Her­zen, aber ich kannte ihn nicht wirk­lich. Als wir da­mals vor dem Mau­er­fall in den Wes­ten gin­gen, musste ich al­les hin­ter mir las­sen und plötz­lich wusste ich nicht mehr, wer ich bin. Die Mauer gibt es schon lange nicht mehr und der Os­ten war­tete dar­auf, von mir neu ent­deckt zu wer­den. Ich stieg an ei­nem schö­nen Som­mer­tag in mein Auto und fuhr los. Da­hin, wo die Sonne auf­geht. Und als ich an der Ost­see stand und mir die Sonne ent­ge­gen­blin­zelte,  fasste mich mein Glück an meine Hand und ließ mich nicht mehr los. Ich spürte plötz­lich wo­hin mein Herz ge­hörte und blieb hier.

Und nun nach zwei Jah­ren bin wie­der in Ber­lin, eine Stadt, die ein­mal mein zu Hause war. Und ob­wohl ich meine, diese Stadt zu ken­nen, ist sie mir im­mer noch fremd. Die Di­stanz hat mei­nen Blick­win­kel ver­än­dert. Ber­lin war ein Not­aus­gang. Heute merke ich, dass mir diese Stadt zu groß, zu laut, zu un­ru­hig ist. Die Stra­ßen we­cken Er­in­ne­run­gen, um die Ecke woh­nen ein paar Freunde. Leere Au­gen star­ren mich an, ver­wirrte Ge­stal­ten su­chen nach Auf­merks­ameit. Eine Stadt in der sich viele ein­same Her­zen be­geg­nen. Sie su­chen nach Liebe und flüch­ten sich in Dun­kel­heit. Ihre Frei­heit ist zwi­schen den Mau­ern der Häu­ser ein­ge­sperrt und ihr Blick kennt nur die Weite der brei­ten Stra­ßen. Sie füh­ren ein Dop­pel­le­ben und kei­ner kennt sie so rich­tig. Ich schaue sie an und sehe: keine Wur­zeln, keine Fa­mi­lie, schwan­kend, um­her­ir­rend, halt­los, in Grup­pen aber trotz­dem al­leine. Hier wird dich Nie­mand ver­mis­sen. Ein Ort an dem das Kom­men und Ge­hen an der Ta­ges­ord­nung ist, künst­lich ge­schaf­fen, vol­ler Kon­sum und vol­ler Sehn­süchte. Ich will hier weg, nach Hause. Da­hin, wo mich die lie­be­vol­len Au­gen an­schauen, wo mir die Stille Ent­span­nung und die Na­tur Ge­las­sen­heit bringt. Da ist mein Glück, da ist meine Liebe.