Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Vom Eise be­freit sind Strom und Bä­che,
Durch des Früh­lings hol­den, be­le­ben­den Blick,
Im Tale grü­net Hoff­nungs-Glück;
Der alte Win­ter, in sei­ner Schwä­che,
Zog sich in rauhe Berge zu­rück.

Von dort­her sen­det er, flie­hend, nur
Ohn­mäch­tige Schauer kör­ni­gen Ei­ses
In Strei­fen über die grü­nende Flur;
Aber die Sonne dul­det kein Weis­ses,
Über­all regt sich Bil­dung und Stre­ben,
Al­les will sie mit Far­ben be­le­ben;
Doch an Blu­men fehlts im Re­vier,
Sie nimmt ge­putzte Men­schen da­für.

Kehre dich um, von die­sen Hö­hen
Nach der Stadt zu­rück zu se­hen.
Aus dem hoh­len fins­tern Tor
Dring ein bun­tes Ge­wim­mel her­vor.
Je­der sonnt sich heute so gern.
Sie fei­ern die Auf­er­ste­hung des Herrn,
Denn sie sind sel­ber auf­er­stan­den,
Aus nied­ri­ger Häu­ser dump­fen Ge­mä­chern,
Aus Hand­werks- und Ge­wer­bes Ban­den,
Aus dem Druck von Gie­beln und Dä­chern,
Aus Stras­sen quet­schen­der Enge,
Aus der Kir­chen ehr­wür­di­ger Nacht
Sind sie alle ans Licht ge­bracht.

Sieh nur sieh! wie be­hend sich die Menge
Durch die Gär­ten und Fel­der zer­schlägt,
Wie der Fluss, in Breit‹ und Länge,
So man­chen lus­ti­gen Na­chen be­wegt,
Und, bis zum Sin­ken über­la­den
Ent­fernt sich die­ser letzte Kahn.
Selbst von des Ber­ges fer­nen Pfa­den
Blin­ken uns far­bige Klei­der an.

Ich höre schon des Dorfs Ge­tüm­mel,
Hier ist des Vol­kes wah­rer Him­mel,
Zu­frie­den jauch­zet gross und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.

Jo­hann Wolf­gang von Goe­the, Os­ter­spa­zier­gang, Faust I

Am Rande eines Abgrundes

End­lich fan­den wir wie­der ei­nen Grund, um uns den Gau­men­freu­den zu wid­men und so stie­gen wir an die­sem be­sag­ten Nach­mit­tag ins Auto und fuh­ren los zum Fisch­re­stau­rant in un­se­rer Nähe. Wir freu­ten uns sehr über un­ser Vor­ha­ben. Die Land­schaft bot mir ei­nen herr­li­chen Aus­blick: zahl­rei­che saf­tige Grün­töne, all­mäh­lich gelb wer­dende Raps­fel­der und blü­hende Obst­bäume. Der Früh­ling machte kei­nen Halt mehr. Plötz­lich kam uns eine Idee. Wir woll­ten eine Ab­kür­zung fin­den und bo­gen von der Straße in den Wald ein. Bei of­fe­nen Fens­ter­schei­ben ge­nos­sen wir den fri­schen Wald­duft und das rege Vo­gel­ge­zwit­scher. Nach ei­ner kur­zen Weile en­dete plötz­lich der Weg. Uns blieb also nichts an­de­res üb­rig als um­zu­keh­ren. Plötz­lich fiel uns ein sehr ho­her Baum mit vie­len Wur­zeln auf. Vol­ler Neu­gierde stie­gen wir aus und tas­te­ten uns ganz vor­sich­tig heran. Da sa­hen wir nicht nur den in­ter­es­san­ten Baum, son­dern noch diese rie­sige Kuhle. Nun stan­den wir vor ei­nem un­glaub­li­chen Phä­no­men und wur­den ganz still. Am Rande die­ser Ver­tie­fung wuchs ein gro­ßer Baum mit zum Teil frei ge­wor­de­nen, sicht­ba­ren, gi­gan­ti­schen Wur­zeln. Es war un­heim­lich und un­glaub­lich zu­gleich.

 

Das war ziem­lich fas­zi­nie­rend, bei­nahe un­ter ei­nem Baum zu ste­hen und auf sein tiefs­tes Ge­heim­nis zu bli­cken. Wir konn­ten den Teil der Wur­zeln be­trach­ten, wel­cher nor­ma­ler­weise von der Erde be­deckt ist. Den Baum schien es kaum zu in­ter­es­sie­ren, dass er am Rande ei­nes Ab­grun­des wuchs. Seine rie­si­gen Wur­zeln wa­ren so dick und bohr­ten sich so tief in die Erde, dass er trotz­dem auf­recht ste­hen konnte und nicht um­fiel. Sie ga­ben ihm Halt und Si­cher­heit. Mir wurde die Kraft und die Wich­tig­keit der Wur­zeln be­wusst. Ich glaube, dass je­der von uns Wur­zeln hat, viel­leicht nicht so mäch­tig wie die des Bau­mes, aber si­cher stark ge­nug, um Halt zu ge­ben. Die­ser Baum hat mir ge­zeigt, dass man am Rande »sei­nes Ab­grun­des« trotz­dem auf­recht ste­hen blei­ben und wei­ter­hin »groß und stark« sein kann.

Der beste Hund der Welt

Das Le­ben hat mich mit ei­nem groß­ar­ti­gen Be­glei­ter be­schenkt. Da­für bin ich dank­bar. Teddy — der beste Hund auf der Welt, ein Pracht­kerl. Die Mix­tur zwi­schen ei­nem Ber­ner Sen­nen­hund und ei­nem Rott­wei­ler macht ihn zum per­fek­ten Be­schüt­zer und lie­bens­wer­ten Ka­me­ra­den. Ob­wohl wir uns erst seit dem vor­letz­ten Herbst ken­nen, ha­ben wir uns beide sehr ins Herz ge­schlos­sen.

Schon mor­gens vor der Ar­beit, wenn ich meine Zei­tung hole, be­grüßt er mich ganz ver­schla­fen. Trotz sei­ner Mü­dig­keit steht er kurz auf, we­delt mit sei­nem Schwanz und krab­belt wie­der ganz schnell in seine Hütte zu­rück. Zur Mit­tags­zeit war­tet er sehn­lichst vor dem Zaun, um mich vol­ler Herz­lich­keit zu be­grü­ßen. Beim Öff­nen des Tors bellt er und um­run­det vol­ler Freude mein Auto und mich. Schnell schnappt er nach sei­nem ro­ten Ball, be­reit zum Spie­len. So be­grü­ßen wir uns.

Meine Er­in­ne­run­gen an un­sere erste Be­geg­nung sind noch sehr deut­lich. Be­reits da be­grüßte er mich vol­ler Freude. Mein Ge­ruch war ihm an­schei­nend nicht ganz un­be­kannt. Es war die Liebe auf den ers­ten Blick! Auch wenn ich in der ers­ten Wo­che noch re­la­tiv viel Re­spekt vor ihm hatte, vor al­lem vor sei­nen gro­ßen Zäh­nen und sei­nem lau­ten Bel­len, ha­ben wir schon da ge­mein­sam im Gar­ten ge­spielt. Es wa­ren die Son­nen­strah­len, die uns er­wärm­ten, als wir vor der Haus­tür ge­mein­sam die Zeit ver­brach­ten. Ich auf der Ho­ly­wood­schau­kel und Teddy da­ne­ben, vol­ler Ver­lan­gen nach Strei­chel­ein­hei­ten. Bei sei­nem glän­zen­den Fell und sei­nem lie­be­vol­len We­sen ist es nur schwer, ihm die­ses ab­zu­schla­gen. Mit ge­senk­ten Oh­ren und of­fe­nem Maul schaut er ei­nen lä­chelnd an. Da­bei hat man das Ge­fühl, dass er je­des Wort ver­steht. So ist es ge­blie­ben, dass wir fast täg­lich ge­mein­sam um die »Bäume« zie­hen. Dann er­le­ben wir jede Menge Aben­teuer und be­vor ich das Haus ver­lasse, ahnt er schon, dass wir wie­der un­sere Run­den dre­hen. Vol­ler Un­ge­duld springt er dann und ver­langt nach sei­ner Leine. Diese darf in sei­nem Maul nicht feh­len. Stolz läuft er vor­aus.  

Winterspaziergang

Die war­men Son­nen­strah­len kit­zel­ten mich heute mor­gen ganz leicht an mei­ner Na­sen­spitze. Lang­sam öff­nete ich meine Au­gen und mein Blick rich­tete sich so­fort zu mei­nem Fens­ter. Auch heute mor­gen er­blickte ich wie­der diese wun­der­volle Land­schaft, die mich je­den mor­gen be­grüßt. Die herr­li­che Weite führt ins Un­end­li­che und ich er­ha­sche vom Wei­ten die rie­si­gen Kro­nen der drei al­ten Bäume.

Das ist meine Frei­heit, mein Traum, meine Liebe.

Ich lau­sche der Stille. Das Ther­mo­me­ter zeigt auf 0°C. Es ist noch Win­ter. Doch die Na­tur be­wegt sich. Die Vö­gel zwit­schern leise und die Sonne lädt mich zu ei­nem herr­li­chen Spa­zier­gang ein. So pa­cke ich mich warm ein und ste­cke die Hun­de­leine ein. Der beste Hund al­ler Zei­ten war­tet schon we­delnd auf mich. Vol­ler Un­ge­duld lechtz er nach sei­ner Leine. Ich ste­cke sie ihm ins Maul und so be­glei­tet er mich.

Vor der Haus­tür ent­de­cke ich tat­säch­lich die ers­ten Spit­zen ei­nes Schnee­glöck­chens!!! Wun­der­voll!!! Ich bin ge­spannt, was wir heute noch so al­les ent­de­cken!

Schneeglöckchen im Garten
Schnee­glöck­chen im Gar­ten

Der Wald­ein­gang liegt ganz in der Nähe von un­se­rem Haus. Wir durch­que­ren das kleine Dorf bis sich der Wald­weg da­hin­ter er­öff­net. Die Fel­der am Wald­rand leuch­ten heute in grün­gel­ber Pracht. Die Sicht ist klar und deut­lich, so dass ich weit über das nächste Dorf hin­aus schauen kann. Zwi­schen den Fel­der spürt man die Schärfe der Winde und wenn man hier ganz kurz ver­weilt, nimmt man so­gar die fri­sche Brise der Ost­see wahr. Der Wald er­öff­net sich vor uns und das leichte Knar­ren der Stämme er­tönt.

Teddy und ich schrei­ten in den Wald hin­ein. Lang­sam und vor­sich­tig be­wege ich mich auf dem ver­eis­ten Wald­weg. Un­ter den Schuh­soh­len knirscht der Schnee und so ver­ra­ten mich meine Schritte. Aus der Ferne nimmt mich eine alte Krähe wahr. Ich ver­su­che ge­räusch­los zu ge­hen. Doch das ge­lingt mir kaum, da ich nur auf dem Schnee si­cher vor Glätte bin. Mit je­dem Schritt knis­tert es wei­ter. Die Sonne scheint durch die kah­len Wald­kro­nen. Das Feld am Wald­rand ist vom Gras be­wach­sen. Teddy schrei­tet voran und hält hier und da mal an. Zwi­schen­durch schaut er sich nach mir um. Wir ma­chen un­sere Runde.

Plötz­lich er­tönt ein Piep­sen und ein Zwit­schern. Ich bleibe ste­hen und er­bli­cke oben in den Bäu­men zwei kleine Bunt­spechte, wie sie wir­belnd vom Baum zu Baum um­her­flie­gen. Neu­gie­rig tapse ich den tän­zeln­den Vö­gel­chen hin­ter­her. Wir ver­las­sen den Wald­weg. Diese Keck-Rufe der Bunt­spechte nehme ich zum ers­ten Mal wahr. Es ist ein schö­nes Schau­spiel! Ein Blick auf dem Wald­bo­den ver­rät mir, dass hier Wild­schweine ge­wühlt ha­ben. Über­all lau­ter Lö­cher und Teddy au­ßer Rand und Band. Es wird Zeit zu ge­hen.  Wir durch­que­ren den Wald. Der Hund un­wis­send hin­ter­her.

Vom Wei­ten er­scheint uns der alt­be­kannte Weg wie­der. Ich gehe ziel­ge­rade dar­auf zu. Teddy weißt nun wo­hin und traut sich wie­der vor­aus­zu­lau­fen. Wir schrei­ten auf dem Weg wei­ter. Zwi­schen den Bäu­men liegt teil­weise noch Schnee. Die Wald­seen sind noch ge­fro­ren. Man könnte ei­nen Schritt dar­auf wa­gen. Doch mehr als dies traue ich mich nicht. Hin und wie­der hört man ei­nen Specht häm­mern, sonst Stille. Ich ge­nieße diese Ruhe, fort von jeg­li­cher Hek­tik, fort von jeg­li­chem Lärm.

Hier finde ich mich wie­der. Hier bin ich Mensch.