Farben, Licht und Formen

 

Gol­dig ver­ab­schie­dete sich der Ok­to­ber. Wäh­rend wir noch im Gar­ten hoch­kon­zen­triert ar­bei­te­ten, be­rührte er uns mit sei­nen war­men Son­nen­strah­len, als ob er sa­gen wollte: »Schau, wie schön ich bin«. Wir merk­ten die­sen klei­nen Wink und un­ter­bra­chen un­sere Gar­ten­ar­beit. Die Harke stell­ten wir an die Seite und tausch­ten sie ge­gen den Fo­to­ap­pa­rat. Wir woll­ten die schö­nen Far­ben und For­men des Herbs­tes fest­hal­ten. Das schöne Licht und die vie­len Farb­tup­fer am Him­mel ver­zau­ber­ten uns. Die Wol­ken bil­de­ten un­glaub­li­che kos­mi­sche For­men. Der wun­der­volle Über­gang vom Tag in die Nacht er­strahlte in un­zäh­li­gen Far­ben: von gelb und orange bis zu rosa, lila und  dun­kel­blau. So­gar die ver­welk­ten Pflan­zen nah­men eine ganz be­son­dere Ge­stalt an. Al­les um uns herum schien so klar und zum Grei­fen nah.

Wir stan­den vor den drei Ei­chen, de­ren mächtge Kro­nen in die­sem Licht ei­nen mys­ti­schen Zau­ber ver­brei­te­ten. Plötz­lich flog völ­lig ge­räusch­los eine Eule aus ei­ner Baum­krone und be­gann ihre Su­che nach le­cke­rer Beute. Fas­zi­niert von die­ser Be­geg­nung blie­ben wir eine Weile still ste­hen und hör­ten ihre Rufe be­vor sie ganz in der Däm­me­rung ver­schwand. Die Nacht brach an und über un­se­ren Köp­fen fin­gen die Sterne an zu fun­keln. Der Mond knippste sein Licht an und leuch­tet ih­nen den Weg. Uns wurde es kalt und der Wind wehte uns nach Hause.

Einmal Berlin und zurück

 

Am letz­ten Wo­chen­ende wa­ren wir in Ber­lin. In nur sechs Stun­den er­leb­ten wir ziem­lich viel. Ich schätze, so viel wie sonst an sechs Wo­chen­en­den: wir wa­ren auf ei­ner Demo, wir ha­ben ei­nige Freunde ge­trof­fen, wir sind vom Lehr­ter Bahn­hof bis zum Ro­ten Platz ge­lau­fen und zu­rück. Dann nahm ich im Tier­gar­ten an ei­nem 10-km-Frau­en­lauf mit über 18.000 Läu­fe­rin­nen teil. Das muss man sich erst­mal vor­stel­len: 18.000 Men­schen, das sind drei Mal so viele, wie in der Stadt, in der ich ar­beite.

Mein letz­ter Ber­lin­be­such ist fast zwei Jahre her. Selt­sam, dass ich mir so viel Zeit da­mit ge­las­sen habe. Denn als ich vor un­ge­fähr vier Jah­ren Ber­lin ver­ließ, tat ich es mit ei­nem wei­nen­den Her­zen und wollte so oft wie mög­lich zu­rück­keh­ren. Ich war mir si­cher, dass diese große Stadt für Ewig­kei­ten der ein­zige Fleck auf die­ser Erde blei­ben würde, an dem ich mich wohl fühle. Als ich ei­nige Jahre zu­vor Ber­lin zog, wurde diese Stdt auf An­hieb zu mei­ner neuen Hei­mat und der ein­zige Ort an dem ich mich ver­stan­den fühlte. End­lich hatte ich ei­nen Platz ge­fun­den, der mir das zeigte, was ich seit Jahr­zehn­ten in mir trug: Os­ten und Wes­ten in ei­nem. Diese Stadt spie­gelte mein In­ne­res wie­der. Bei den aus­gie­bi­gen Spa­zier­gän­gen ent­lang der Spree, auf den neuen und al­ten Stra­ßen, vor­bei an den gro­ßen Ge­bäu­den konnte ich es se­hen, rie­chen und spü­ren. Die Er­in­ne­run­gen aus mei­ner Kind­heit ka­men zum ers­ten Mal zu­rück: kalte Win­ter, Was­ser, Tou­ris­ten, Plat­ten­bau­ten, Stra­ßen­bah­nen, Kul­tur, Ge­schichte und Thea­ter. Nur die Ost­see fehlte mir. Und ob­wohl ich im­mer noch nicht wusste, wo meine Wur­zeln la­gen, gab mir Ber­lin ein Ge­fühl von Hei­mat. Hier konnte ich so sein wie ich bin, nie­mand fragte nach mei­ner Her­kunft, Vor­ur­teile wa­ren tabu, ich hatte das Ge­fühl, end­lich frei zu sein. Zu­nächst machte es mir nichts aus, zen­tral, zwi­schen Mil­lio­nen von Men­schen, Tau­sen­den von Au­tos und Hun­der­ten von Häu­sern zu woh­nen. Die vie­len Mög­lich­kei­ten be­geis­ter­ten mich und ich wollte es er­le­ben, es mit­neh­men und da­bei sein. Die An­ony­mi­tät und die Un­ab­hän­gig­keit ge­noss ich sehr, aber es gab es kaum je­man­den, dem ich ver­trauen oder auf den ich mich ver­las­sen konnte. Schon bald merkte ich, dass mir et­was fehlte, aber ich wusste nicht was. Ich hatte al­les und ir­gend­wie doch nichts. Ich fühlte mich ein­sam in die­sem Chaos und plötz­lich kam die Sehn­sucht nach Stille und Na­tur. Ich dachte ein Um­zug in die Vor­stadt wäre eine Lö­sung. Ich zog also in eine 1-Zim­mer-Woh­nung, et­was Ab­seits vom Ge­sche­hen in ei­ner ru­hi­gen Gasse. Hier be­suchte mich sel­te­ner je­mand, hier brauchte ich län­ger zum Zen­trum. Doch mir fehlte im­mer noch et­was. Ich dachte an meine al­ten Freunde, an meine Fa­mi­lie und an ei­nen bes­ser be­zahl­ten Job. Sollte ich doch in den Wes­ten zu­rück ge­hen? Ich wusste ein­fach nicht, wo­hin mit mir. Ob­wohl es schmerzte, ent­schied ich mich Ber­lin zu ver­las­sen. Und wie­der ein Um­zug. Es wa­ren in­zwi­schen so viele, dass ich sie noch nicht ein­mal an vier Hän­den ab­zäh­len konnte. Ein wei­te­rer Ver­such, mein in­ne­res Gleich­ge­wicht zu fin­den. Freunde, Kol­le­gen, Be­kannte und Un­be­kannte pro­phe­zei­ten mir: »Du kommst wie­der«. Ich kam mir vor, wie ei­nem rie­si­gen La­by­rinth. Doch auch der Wes­ten machte mich nicht viel glück­li­cher. Die Ein­bil­dung, dass al­les wie­der so sein würde wie frü­her, stellte sich als falsch her­aus. Ich habe mich ver­än­dert, meine al­ten Freunde wa­ren plötz­lich weg und der bes­ser be­zahlte Job wurde zum Hor­ror. Meine Fa­mi­lie war da, das war schön! Ich be­gann je­doch zu be­grei­fen, dass mir die Wur­zeln fehl­ten. Ich kannte den Wes­ten und ich kannte Ber­lin. Tief ver­gra­ben in Er­in­ne­run­gen und in ei­ner Sehn­sucht nach Ge­bor­gen­heit, trug ich den Os­ten in mei­nem Her­zen, aber ich kannte ihn nicht wirk­lich. Als wir da­mals vor dem Mau­er­fall in den Wes­ten gin­gen, musste ich al­les hin­ter mir las­sen und plötz­lich wusste ich nicht mehr, wer ich bin. Die Mauer gibt es schon lange nicht mehr und der Os­ten war­tete dar­auf, von mir neu ent­deckt zu wer­den. Ich stieg an ei­nem schö­nen Som­mer­tag in mein Auto und fuhr los. Da­hin, wo die Sonne auf­geht. Und als ich an der Ost­see stand und mir die Sonne ent­ge­gen­blin­zelte,  fasste mich mein Glück an meine Hand und ließ mich nicht mehr los. Ich spürte plötz­lich wo­hin mein Herz ge­hörte und blieb hier.

Und nun nach zwei Jah­ren bin wie­der in Ber­lin, eine Stadt, die ein­mal mein zu Hause war. Und ob­wohl ich meine, diese Stadt zu ken­nen, ist sie mir im­mer noch fremd. Die Di­stanz hat mei­nen Blick­win­kel ver­än­dert. Ber­lin war ein Not­aus­gang. Heute merke ich, dass mir diese Stadt zu groß, zu laut, zu un­ru­hig ist. Die Stra­ßen we­cken Er­in­ne­run­gen, um die Ecke woh­nen ein paar Freunde. Leere Au­gen star­ren mich an, ver­wirrte Ge­stal­ten su­chen nach Auf­merks­ameit. Eine Stadt in der sich viele ein­same Her­zen be­geg­nen. Sie su­chen nach Liebe und flüch­ten sich in Dun­kel­heit. Ihre Frei­heit ist zwi­schen den Mau­ern der Häu­ser ein­ge­sperrt und ihr Blick kennt nur die Weite der brei­ten Stra­ßen. Sie füh­ren ein Dop­pel­le­ben und kei­ner kennt sie so rich­tig. Ich schaue sie an und sehe: keine Wur­zeln, keine Fa­mi­lie, schwan­kend, um­her­ir­rend, halt­los, in Grup­pen aber trotz­dem al­leine. Hier wird dich Nie­mand ver­mis­sen. Ein Ort an dem das Kom­men und Ge­hen an der Ta­ges­ord­nung ist, künst­lich ge­schaf­fen, vol­ler Kon­sum und vol­ler Sehn­süchte. Ich will hier weg, nach Hause. Da­hin, wo mich die lie­be­vol­len Au­gen an­schauen, wo mir die Stille Ent­span­nung und die Na­tur Ge­las­sen­heit bringt. Da ist mein Glück, da ist meine Liebe.

Mein erster Frühling auf dem Land

In den ver­gan­ge­nen we­ni­gen Ta­gen pas­sierte so viel um uns herum, dass ich es kaum in Worte fas­sen kann. Die klei­nen Wun­der der Na­tur, die ich tag­täg­lich be­ob­ach­ten darf, be­geis­tern mich sehr. Bei uns im Gar­ten und hier auf dem Land kann man das Le­ben se­hen und an­fas­sen. Die Pfan­zen ge­dei­hen un­auf­hör­lich, im­mer mehr Tiere zei­gen sich auf mei­nem Weg. Die Raps­fel­der strah­len leuch­tend­gelb. Die Luft ist er­füllt von ih­rem süß­li­chen Duft. Die Bäume ha­ben nun ihr grü­nes Kleid an­ge­nom­men, an je­der Ecke blü­hen die bun­ten Früh­lings­blu­men und die Vö­gel­chen zwit­schern. Ich staune, wie schnell al­les um mich herum wächst. So in­ten­siv und be­wusst wie in die­sem Jahr habe ich die Na­tur bis­her noch nicht er­lebt. Es ist schließ­lich mein ers­ter Früh­ling auf dem Land, fern von der Stadt. End­lich ist in mir die Ruhe ein­ge­kehrt, end­lich weiß ich, dass mich die vie­len Reize der Groß­stadt über­for­dert ha­ben. Nur da­mals wusste ich es noch nicht. Ich dachte es muss so sein. Schließ­lich war ich in mei­nem Kopf be­ein­flusst, dass nur ein Le­ben in der Stadt Er­fül­lung bringt. Et­was Land­luft schnup­perte ich nur bei Be­su­chen und Durch­fahr­ten. Ich bin in ei­ner Me­tro­pole groß und in ei­ner 3-Mil­lio­nen-Men­schen-Stadt er­wach­sen ge­wor­den. Als Vor­stadt­kind hatte ich bei­des di­rekt vor mei­nen Fü­ßen: eine ge­schichts­träch­tige, über 1000 Jahre alte Groß­stadt und die Na­tur. Denn wir leb­ten am Rand ei­nes rie­si­gen Wal­des und nur zwei Ki­lo­me­ter von der Ost­see ent­fernt. Doch dann sie­del­ten wir um, ca. 1200 km west­wärts und weit über die Mauer hin­aus. Plötz­lich hatte ich nur noch den Ge­stank ei­ner In­dus­trie­stadt in der Nase, kein Was­ser, kein Wald, keine fri­sche Luft. Nur die Sehn­sucht nach den gro­ßen Bäu­men, der Ost­see und den al­ten Stra­ßen blieb. Der Ge­danke aufs Land zu zie­hen, kam mir nie in den Sinn. Ganz im Ge­gen­teil, die Me­tro­po­len reiz­ten mich. Ich wollte was er­le­ben, meine Sehn­sucht und meine Un­ruhe stil­len. Ei­nen klei­nen Aus­gleich fand ich in ab­ge­le­ge­nen Wäld­chen oder in Parks. Aber mir fehlte trotz­dem was. Der Dschun­gel der Groß­stadt, die schein­bar un­end­li­chen Mög­lich­kei­ten und die Su­che nach Aben­teu­ern füll­ten die Leere in mir nicht aus.

Doch nun bin ich hier auf dem Land. Vol­ler Liebe und Dank­bar­keit. Fern von Krach, Ge­stank und Plas­tik. So nah an den Wäl­dern, in Stille, fast an der Ost­see, die Groß­stadt nicht weit weg. Und die Er­kennt­nis: Was braucht man mehr um glück­lich zu sein?

Die kleine Weinbergschnecke

Die war­men Son­nen­strah­len kit­zel­ten die kleine Wein­berg­schne­cke ganz sanft an ih­ren Füh­lern. End­lich wachte sie aus ih­rem tie­fen Win­ter­schlaf auf. Ganz lang­sam streckte sie sich aus und schaute um sich. Sie ent­deckte den Früh­ling, über­all sah sie eine wun­der­volle Welt vol­ler bun­ter Far­ben. In ih­rer schnells­ten Lang­sam­keit kroch die kleine Schne­cke auf der Ter­rasse Rich­tung Ra­sen, um das saf­tige Grün zu be­rüh­ren und das erste Lö­wen­zahn­blatt zu ver­spei­sen.

 

Montagabend vor der Haustür

Heute war den gan­zen Tag ty­pi­sches April­wet­ter: Re­gen, Sonne, Wind, Re­gen, Sonne, Wind. Vor­hin habe ich mich doch aus dem Haus ge­traut. Teddy hat schon sehn­suchts­voll vor der Tür ge­war­tet, bis ei­ner von uns eine Runde mit ihm geht. Ich konnte es kaum über das Herz brin­gen, ihn so ste­hen zu las­sen. Also zog ich mir schnell meine Stie­fel und eine warme Ja­cke an. Weil ich das Ge­fühl hatte, drau­ßen sei es un­ge­müt­lich. Doch ich wurde vom Ge­gen­teil über­zeugt:  der Wind war wun­der­bar frisch und die Sonne leuch­tete hin­ter den Wol­ken auf die Knos­pen des Flie­ders. Wun­der­voll!

Teddy lief vol­ler Freude vor­aus und ich at­mete die fri­sche Wind­boe ein. Was für ein Glück, dass ich doch nach drau­ßen ge­gan­gen bin, denn schon ein Stück­chen wei­ter war­tete die nächste Be­loh­nung auf mich:

der erste Re­gen­bo­gen in die­sem Jahr. Herr­lich! Un­glaub­lich, und das kurz vor 20.00 Uhr. Ich schaute zum Him­mel. Die Wol­ken bil­de­ten die schöns­ten Mus­ter und im Hin­ter­grund strahlte die un­ter­ge­hende Sonne.

So groß­ar­tig kön­nen 20 Mi­nu­ten sein, vor al­lem, wenn man es nicht ahnt und trotz­dem seine Sinne schärft. Ich wurde an die­sem Mon­tag, den 14.04.2014 so wun­der­bar be­schenkt. In die­sem Sinne wün­sche ich Euch al­len auch ei­nen wun­der­schö­nen Wo­chen­be­ginn!!!