Schlagwort: Natur
Mein erster Frühling auf dem Land
In den vergangenen wenigen Tagen passierte so viel um uns herum, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Die kleinen Wunder der Natur, die ich tagtäglich beobachten darf, begeistern mich sehr. Bei uns im Garten und hier auf dem Land kann man das Leben sehen und anfassen. Die Pfanzen gedeihen unaufhörlich, immer mehr Tiere zeigen sich auf meinem Weg. Die Rapsfelder strahlen leuchtendgelb. Die Luft ist erfüllt von ihrem süßlichen Duft. Die Bäume haben nun ihr grünes Kleid angenommen, an jeder Ecke blühen die bunten Frühlingsblumen und die Vögelchen zwitschern. Ich staune, wie schnell alles um mich herum wächst. So intensiv und bewusst wie in diesem Jahr habe ich die Natur bisher noch nicht erlebt. Es ist schließlich mein erster Frühling auf dem Land, fern von der Stadt. Endlich ist in mir die Ruhe eingekehrt, endlich weiß ich, dass mich die vielen Reize der Großstadt überfordert haben. Nur damals wusste ich es noch nicht. Ich dachte es muss so sein. Schließlich war ich in meinem Kopf beeinflusst, dass nur ein Leben in der Stadt Erfüllung bringt. Etwas Landluft schnupperte ich nur bei Besuchen und Durchfahrten. Ich bin in einer Metropole groß und in einer 3-Millionen-Menschen-Stadt erwachsen geworden. Als Vorstadtkind hatte ich beides direkt vor meinen Füßen: eine geschichtsträchtige, über 1000 Jahre alte Großstadt und die Natur. Denn wir lebten am Rand eines riesigen Waldes und nur zwei Kilometer von der Ostsee entfernt. Doch dann siedelten wir um, ca. 1200 km westwärts und weit über die Mauer hinaus. Plötzlich hatte ich nur noch den Gestank einer Industriestadt in der Nase, kein Wasser, kein Wald, keine frische Luft. Nur die Sehnsucht nach den großen Bäumen, der Ostsee und den alten Straßen blieb. Der Gedanke aufs Land zu ziehen, kam mir nie in den Sinn. Ganz im Gegenteil, die Metropolen reizten mich. Ich wollte was erleben, meine Sehnsucht und meine Unruhe stillen. Einen kleinen Ausgleich fand ich in abgelegenen Wäldchen oder in Parks. Aber mir fehlte trotzdem was. Der Dschungel der Großstadt, die scheinbar unendlichen Möglichkeiten und die Suche nach Abenteuern füllten die Leere in mir nicht aus.
Doch nun bin ich hier auf dem Land. Voller Liebe und Dankbarkeit. Fern von Krach, Gestank und Plastik. So nah an den Wäldern, in Stille, fast an der Ostsee, die Großstadt nicht weit weg. Und die Erkenntnis: Was braucht man mehr um glücklich zu sein?
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weisses,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dring ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus Strassen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss, in Breit‹ und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet gross und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.
Johann Wolfgang von Goethe, Osterspaziergang, Faust I