Autor: Ilonka
Der Storch von nebenan
Zur Tagundnachtgleiche, haben wir im Dorf von nebenan endlich wieder unseren Weißstorch ›Adebar‹ gesichtet. Er ist einer der Klapperstörche aus unserer Umgebung, den man schon sehr früh im Jahr begrüßen kann. Der beringte, treue Nachbar, fliegt zum Überwintern nämlich nicht so weit, wie die anderen seiner Art. Statt in Afrika, verbringt ›Adebar‹ seine Winter lieber in Spanien. Wahrscheinlich, um wieder schnell in seinem geliebten Mecklenburg zu sein. Nun wartet der schöne Storch sehnlichst auf seine Artgenossinen, um mit ihnen im Sommer zu klappern und schöne Tage auf der Wiese, im Nest oder in den Lüften zu verbringen.
Zeit für Pilze
Alle Pilzsammler wissen, dass genau jetzt die Zeit gekommen ist, um in den Wald zu gehen, denn die Pilze schießen aus dem Waldbodenn und das Wetter ist perfekt. Auch wir haben uns auf die Suche gemacht. Es dauerte nicht lange, da fanden wir jede Menge schöner Maronen und Steinpilze. Mit Leidenschaft suche ich in den geheimnisvollen Tiefen des Waldes nach Pilzen. Man muss besonders langsam gehen und den Waldboden ganz genau beobachten. Alles um mich herum wird still. Nur ab und zu knackst plötzlich ein Ast und ich schaue schnell auf und frage mich, ob uns ein anderer Pilzsammler auf den Fersen ist. Er darf nämlich nicht zu nahe kommen.
Schon ganz früh nahm mich mein Vater zum Pilzesammeln mit und brachte mir bei, die essbaren Arten zu erkennen. Jeden Sonntag in der Pilzsaison hat er mich bei Wind und Wetter gegen 5.00 Uhr morgens geweckt. Wir mussten so früh wie möglich gehen, um noch vor den Anderen da zu sein. Er nahm ein Korb, zwei Äpfel, Stullen, Trinken, Messer und, ganz wichtig, Toilettenpapier mit. Dann marschierten wir noch im Dunkeln los. Unser Glück war, dass wir damals direkt am Wald wohnten. Doch um an die Pilzstellen zu gelangen, mussten wir trotzdem ca. 30 Minuten wandern. Als wir im Wald ankamen, wurde es nur langsam hell. Der Waldboden war feucht und im Morgengrauen konnte man noch nicht viel erkennen. Mein Vater war meist der erste, der einen essbaren Pilz fand und machte sich liebevoll lustig, wenn ich an ein paar guten Prachtexemplaren vorbei ging. Gelegentlich begleitete uns ein Freund meines Vaters und seine Tochter, die eine sehr gute Freundin von mir war. Zusammen im Wald zu sein, war für mich wunderbar, denn wir hatten immer viel Freude dabei. Der Geruch des Waldes, die Stille und die wunderschönen Pilze, die man findet, weckten in mir eine große Leidenschaft für das Pilzesammeln. Wie schön, dass unsere Körbe auch in diesem Herbst wieder reichlich gefüllt sind.
Sprich zu uns über das Alleinsein
»Wenn du nicht allein sein kannst, wird die Liebe nicht lange an deiner Seite verweilen. Denn auch die Liebe braucht Ruhezeiten, damit sie durch den Himmel reisen und sich auf andere Weise offenbaren kann. Keine Pflanze und kein Tier überlebt, wenn sie nie allein gelassen werden. Auch das Feld muss hin und wieder allein gelassen werden, damit es fruchtbar bleibt. Kein Kind wird etwas über das Leben lernen, keine Arbeit sich entwickeln und verändern können, wenn ihnen Alleinsein verwehrt wird.
Alleinsein bedeutet nicht die Abwesenheit von Liebe, sondern deren Ergänzung. Alleinsein heißt nicht, dass man ohne Begleitung ist, sondern es meint den Augenblick, in dem unsere Seele zu uns sprechen und uns helfen kann, Entscheidungen für unser Leben zu treffen. Daher sind diejenigen gesegnet, die gut mit sich selbst allein sein können und die sich nicht voller Angst in Arbeit vergraben oder mit Zerstreuung abzulenken versuchen. Denn wer niemals allein ist, kennt sich selbst nicht. Und wer sich selbst nicht kennt, fürchtet die Leere. Doch diese Leere gibt es nicht. Eine ungeheuer große Welt verbirgt sich in unserer Seele und wartet darauf, entdeckt zu werden. Siest da mit ihrer ganzen unverbrauchten Kraft, doch sie ist so neu und so mächtig, dass wir uns nicht eingestehen wollen, dass es sie gibt. (…)
Und diejenigen, die sich vor dem Alleinsein nicht fürchten, erwartet ein neues Lebensgefühl. In der Abgeschiedenheit werden sie der Liebe gewahr werden, die manchmal unbemerkt kommt. In der Abgeschiedenheit werden sie die Liebe, die gegangen ist, begreifen und achten. In der Abgeschiedenheit werden sie lernen, dass Neinsagen nicht immer ein Mangel an Großzügigkeit und dass Jasagen nicht immer eine Tugend ist. (…)
Und jene, die das Alleinsein bedrückt, sollten sich in Erinnerung rufen, dass wir in den entscheidenden Augenblicken des Lebens immer allein sind. Wie das Kind, wenn es aus dem Leib der Mutter kommt. Egal, wie viele Menschen bei seiner Geburt zugegen sind, letztlich entscheidet es allein, ob es leben will. Wie der Künstler, der allein sein und den Stimmen der Engel lauschen muss, damit seine Arbeit wirklich gut wird. Wie wir, wenn wir dereinst im wichtigsten und meistgefürchteten Augenblick unseres Lebens allein sein werden — im Angesicht des von uns ungeliebten Todes. So wie die Liebe zu Gott gehört, gehört das Alleinsein zum Menschen. Und beide bestehen für jene einträchtig nebeneinander, die das Wunder des Lebens begreifen.«
Paulo Coelho — Die Schriften von Accra
Kehre zu dir selbst zurück
Wenn dein Alltag überquillt,
hektisch, laut und voller Worte,
wenn dein Maß randvoll gefüllt,
dann geh leise durch die Pforte,
die der Traum dir offen hält,
kehre zu dir selbst zurück,
voller Wunder ist die Welt
voller Farben, voll Musik.
Stelle deine Ideale
wieder mitten in die Zeit,
leg dein Herz mit in die Schale
und ein Quäntchen Tapferkeit.
Aus dem Reichtum deiner Stille,
bringe uns ein Lächeln mit,
Glaube, Hoffnung, Wunsch und Wille,
helfend, heilend, Schritt für Schritt.
Emmy Grund